Allegra Cadisch 01 - Jakobshorn by Götschi Silvia

Autor:Götschi, Silvia [Götschi, Silvia]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863583927
veröffentlicht: 2016-02-02T16:00:00+00:00

ZWÖLF

Ich fand mich wieder im Hotel Casa Anna ein. Neben einem alternden Schriftsteller war ich der einzige Gast. Die Rentner waren ab- und weitergereist. Jasmin sagte mir, dass sie nur noch das Frühstück anbieten würde. Das Nachtessen müsste ich mir ausserhalb besorgen. Es lohne sich nicht, nur für zwei Nasen zu kochen. Der Schriftsteller esse eh nur belegte Brote. Und die Bar sei ja zu jeder Zeit zugänglich. Und bei mir sei sie auch nicht sicher, ob mich ein Happen Fleisch beglücken könne. Wenn ich Hunger hätte, könne ich mich aus dem Kühlschrank in der Küche selbst bedienen. Ich bemerkte, wie müde sie war und das Saisonende herbeisehnte. Im Grunde war ihr alles egal. Man hätte das Hotel abfackeln können. Sie wäre vielleicht danebengestanden und hätte dem Prasseln des Feuers gelauscht.

Ich bekam dasselbe Zimmer. Man hatte es gereinigt, das Bett frisch bezogen. Die Pinnwand stand noch an ihrem gewohnten Platz. Ich war froh darum. Ich heftete die Kärtchen mit den Namen wieder an – diesmal etwas geordneter. Ich ergänzte die Kärtchen mit «Gustl Haider», obwohl ich noch nicht wusste, welche Rolle er auf der Suche nach der Wahrheit spielte.

Später rief ich Tomasz an und informierte ihn über meine Ankunft. Ich war es ihm schuldig, nachdem er sich bereit erklärt hatte, auf Mam aufzupassen.

Es war nach Mitternacht, als ich todmüde ins Bett fiel.

***

Die Sonne hatte am nächsten Tag Dauerpräsenz, was eher ungewöhnlich war in dieser Jahreszeit. Im Frühling blies üblicherweise ein kühler Wind aus dem Nordosten, was den ganzen Sommer über anhielt. Heute schien die Luft in der vormittäglichen Hitze zu stehen.

Ich hatte mir vorgenommen, mich mit Letícia zu verabreden. Bis anhin hatte ich sie ausser Acht gelassen. Manchmal hatte ich Mühe, sie zu verstehen, wenn sie sich mit der deutschen Sprache abmühte. Ich hatte mich bei ihr angemeldet. Sie hatte vorgeschlagen, uns bei ihr zu treffen.

Die Duplexwohnung, die Vater mit seinen Exfrauen und mit Letícia geteilt hatte, lag zuoberst in einem älteren Komplex, in dem Appartementwohnungen untergebracht waren. Vater hatte das Penthouse «Vogelnest» genannt. Es trug seine Handschrift.

Nach meinem Klingeln öffnete Letícia. Sie hatte sich dieselbe verwaschene Jeans angezogen wie neulich und ihre Haare zu einem Knoten zurückgebunden. Ich hatte sie noch nie zuvor so natürlich erlebt.

Das Erste, was mir auffiel, als ich ins Wohnzimmer trat, waren die Vorhänge. Sie hatten an den Fenstern gehangen, bis meine Mam und ich Davos verlassen hatten. Danach hatte man sie entfernt.

«Sie sein hubsch, nicht?» Letícia war meinem Blick gefolgt. «Bartholomäus Vorhange hassen.»

Und du hast nach seiner Pfeife getanzt, dachte ich, während ich die gesamte Wohnung in Augenschein nahm. Auch die Bilder waren bis auf zwei verbliebene weggeräumt. Ich betrat den Korridor, der in die Zimmer führte. Hier schien etwas Anheimelndes zurückgekehrt zu sein. Auch in den ehemaligen Kinderzimmern hingen die Vorhänge wieder, die Mam damals von einem Dekorationsgeschäft hatte schneidern lassen. Die Betten waren frisch bezogen mit hellen neutralen Überzügen, was den Bonbonteppich markanter, die allgemeine Atmosphäre jedoch ruhiger erscheinen liess. Nur das Büro sah noch genau gleich aus wie nach Valerios und meinem letzten Besuch.

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